KI und Kreativität: Weiß alles, stimmt nur nie.
Um in das hochkomplexe Thema Künstliche Intelligenz ein bisschen mehr Nuancierung und Tiefenverständnis reinzubringen haben meine hochgeschätzten Kollegen Gerhild und Peter von five i‘s und ich einen kleinen Diskussionskreis ins Leben gerufen [1]. In den ersten Folgen haben wir uns verschiedene Aspekte von Kreativprozessen vorgenommen. Diese laufen grundsätzlich in abwechselnd divergenten und konvergenten Aktivitäten ab. Bei divergenten Aktivitäten werden explorativ Lösungsvorschläge und Ideen generiert, bei konvergenten werden diese Vorschläge bewertet und priorisiert. Bouschery et. al. [2] haben bereits 2022 die Möglichkeit skizziert, dass KI bei beiden Aktivitäten unterstützen kann. Wir bei TIM Consulting setzen unsere eigens entwickelten generativen Tools schon erfolgreich zur Ideengenerierung ein, weshalb wir das für divergente Aktivitäten vollumfänglich bestätigen können. Die Gefahr, dass KI-generierte Inhalte nicht objektiv wahr sind, ist bei der Ideengenerierung vernachlässigbar [3]. Auch menschliche Ideen stimmen oft nicht (zumindest meine), wenn also dieselbe Skepsis bei KI-Ideen angewendet wird, kann eigentlich nichts schief gehen.
Dem Einwand, dass KI-Systeme nur auf bestehendes Wissen zurückgreifen und deshalb nicht wirklich kreativ sein können, kann ich nur eingeschränkt zustimmen. Laut der britischen Kognitionswissenschaftlerin Margaret Boden gibt es drei Formen von Kreativität [4]:
- kombinatorisch: die Vereinigung zweier vorher unabhängiger Dinge,
- explorativ: Randbereiche konzeptioneller Räume erforschen und
- transformativ: Veränderung kompletter Denkrahmen.
Transformative Kreativität wird sicherlich vorerst weiterhin den Menschen vorbehalten bleiben, diese stellt aber auch den kleinsten Teil kreativer Schöpfung dar. Insbesondere bei kombinatorischer, aber auch explorativer Kreativität ist sehr gut vorstellbar, dass KI mitspielen kann. Die KI AlphaFold bspw. kann neuartige Proteinstrukturen zuverlässig vorhersagen, was z.B. die Arzneimittelforschung rapide beschleunigen wird. Der Einsatz von KI bei divergenten Kreativaufgaben, egal bei welcher Aufgabenstellung, ist also sicherlich einen Versuch wert.
Bei den konvergenten Aktivitäten ist das Ganze allerdings etwas komplizierter. Zur realitätsnahen Bewertung von Ideen ist Faktensicherheit notwendig, was den Einsatz generativer Modelle bereits in Frage stellt. Aber ist das wirklich uneingeschränkt so? Insbesondere in frühen Phasen von besonders radikalen Ideen braucht es ein irrationales Durchhaltevermögen und unerbittliche Liebe zur Idee, um sie gegen Widerstände durchzusetzen. Irgendwann muss zwangsläufig der Punkt kommen sich bei ausbleibendem Erfolg einzugestehen, dass die Idee so nicht zielführend ist.
In jedem Fall sollte beachtet werden, dass generative KI in der Regel den Nutzer bestätigen möchte. Wenn ich ChatGPT frage, ob es eine Idee gut findet, wird es eine Menge gut klingender Gründe dafür finden. Wenn ich frage, ob es dieselbe Idee schlecht findet aber genauso. Wir müssen also sehr aufmerksam sein, dass wir nicht nur unsere eigenen Biases und Präferenzen durch die KI bestätigen zu lassen. Ein Ansatzpunkt bietet die alte Innovationsmanagerweisheit „Liebe das Problem, nicht deinen Lösungsvorschlag!“ Wenn wir es schaffen dieses Prinzip in unsere Arbeit mit der KI zu übernehmen ist schon viel gewonnen.
Konvergente Prozesse dienen dazu eine große Anzahl von Ideen zu bewerten und unplausible Vorschläge sogar ganz auszusortieren. Sicherlich ist es dafür eine Überlegung wert, früher mehr unverfängliche und echte Informationen zur Ideenbewertung beizusteuern. Automatisch erstellte Marktdatenanalysen oder unser analytisches Modell CUMULUSAI, das z. B. Patente auswertet, können mögliche KO-Kriterien identifizieren. Da die Handarbeit wegfällt, ist es jetzt möglich, viel mehr Ideen mit qualifizierten Informationen anzureichern und früher im Prozess eine bessere Bewertung zu ermöglichen.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Einsatz von generativer KI in divergenten Kreativprozessen auf jeden Fall interessante Mehrwerte bringen kann und in konvergenten Kreativprozessen tendenziell eher analytische Systeme zum Einsatz kommen. Allerdings gibt es bei konvergenten Aufgaben mehr Hindernisse und Fehlerquellen.
Wie sind Ihre Erfahrungen mit KI in Kreativprozessen? Wir würden gerne mit Ihnen darüber ins Gespräch kommen!
Quellen:
[1] Bei Interesse an den Aufzeichnungen, gerne melden! https://www.linkedin.com/events/kannkiausdatenmenschenerschaffe7265683533069701120/
[2] https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/jpim.12656
[3] Wieso KI-generierte Inhalte nicht wahr sind? Siehe her.
[4] https://www.interaliamag.org/articles/margaret-boden-creativity-in-a-nutshell/
Bild: Freepik.com
M.Sc. Philipp Wichert
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