Denk‘ ich an Nachhaltigkeit in der Nacht
Deutschland verliert den Anschluss bei der Circular Economy
Klimawandel, Bevölkerungswachstum, Ressourcenverbrauch – Gesellschaften und Volkswirtschaften weltweit stehen vor nie gesehenen Herausforderungen. Die Paradigmen, methodischen Ansätze und technologischen Lösungen der Circular Economy können hier den entscheidenden Unterschied machen, doch die diesbezügliche Forschung findet außerhalb Deutschlands statt.
In den letzten 20 Jahren hat sich der Earth Overshoot Day um drei Monate verschoben – vom 1. November im Jahr 2000 auf den 29. Juli im letzten Jahr. Aufgrund von Corona findet er dieses Jahr „erst“ am 22. August statt.
Der Earth Overshoot Day bezeichnet den Tag im Jahr, an dem die Weltbevölkerung die innerhalb eines Jahres nachwachsenden Rohstoffe aufgebraucht hat. Es handelt sich also um den Tag, ab dem wir mit unseren Ressourcen, bildlich gesprochen, ins Minus gehen, der Planet also substanziell angegriffen wird. Das unverhältnismäßige Einbringen ökologischer Ressourcen in industrielle Prozesse, ist denn auch eine der zentralen Ursachen des Klimawandels.
Vor dem Hintergrund einer wachsenden Weltbevölkerung und der damit verbundenen Notwendigkeit, die vorhandenen Ressourcen unter eine wachsenden Anzahl an Konsumenten aufzuteilen, sind insbesondere die Industrienationen gefordert, nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Eine wichtige Rolle spielen wird dabei der Ansatz, Ressourcen durch unterschiedlichste Kreisläufe möglichst lange in Benutzung zu halten und mittelfristig zu einer Wirtschaft mit maximaler Ressourceneffizienz zu kommen, zu einer Circular Economy.
In der Wissenschaft hat das Forschungsfeld Circular Economy (CE) bereits große Relevanz, in den letzten 18 Monaten wurden beispielsweise über 1.100 Fachartikel dazu veröffentlicht. Doch welche konkreten Forschungsthemen werden aktuell untersucht und welche Forschungseinrichtungen sind hier weltweit führend? Die folgende KI-gestützte Analyse gibt Aufschluss.
Zwei der größten Cluster fassen die Forschung zur Frage zusammen, wie CE-Lebenszyklen (Cluster 5) und Auswirkungen von CE-Maßnahmen (Cluster 1) gemessen und bewertet werden können, getreu dem Motto: what you can’t measure, you can’t manage. Ein weiterer Hauptaugenmerk der aktuellen CE-Forschung liegt auf dem Umgang mit und der Vermeidung von Müll, hier insbesondere Elektronikmüll (Cluster 3), Biomasse und Abwasser (Cluster 4) und Lebensmittelabfälle (Cluster 7) sowie auf Müll-Management (Cluster 6) – Müllvermeidung ist der zentrale Stellhebel auf dem Weg zur Ressourceneffizienz.
Um aber Müll zu vermeiden, muss zwangsläufig schon bei der Gestaltung von Produkten und Systemen CE mitgedacht werden und so befassen sich weitere Forschungsstränge mit nachhaltigen Verpackungen (Cluster 8), nachhaltigen Gebäuden (Cluster 11) und nachhaltigen Städten insgesamt (Cluster 10). Nachdem in traditionellen Konsumbeziehungen die Ressourcen letztendlich beim Konsumenten landen, wird auch an diesem Ende geforscht, um neue Geschäftsmodelle (Cluster 2) zu entwickeln, beispielsweise auf Basis von Reverse Logistics (Cluster 9).
Wenn man sich nun die Top 10 der weltweit publikationsstärksten Forschungsinstitutionen anschaut, fallen zwei Dinge auf: Zum einen werden die deutschen Universitäten ihrem Ruf als innovative Vorreiter nicht gerecht – es findet sich keine einzige unter den ersten zehn (auch nicht unter den ersten 20). Zum anderen kristallisiert sich ein weltweiter CE-Forschungshotspot heraus: die Niederlande. Gleich vier niederländische Universitäten finden sich unter den Top 10, angefangen beim Publikationsspitzenreiter, der TU Delft. Auch die skandinavischen Länder sind stark vertreten.
Wir werden die Trendcluster in den kommenden Wochen weiter auswerten, analysieren und interpretieren. Was bereits feststeht, ist, dass Circular Economy auch in Zukunft relevanter werden wird – paradigmatisch, methodisch, technologisch, für Konsumenten, Unternehmen, den Planeten. Deutschland sollte auf den Zug aufspringen, bevor er zu schnell ist.
Bild: freepik – www.freepik.com
Dr. rer. pol. Dipl.-Ing. Ulrich Hutschek
Senior Expert Technology Strategy & Foresight bei TIM Consulting
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