Materialmarkierung – eine Technologie für zwei globale Probleme unserer Zeit: Produktpiraterie und Kunststoffflut.
Im Interview mit Jochen Mößlein, Gründer und Geschäftsführer der Polysecure GmbH
Können Sie uns als Einstieg erklären, was das Bild eines vietnamesischen Strandes mit Ihrer Technologie aus Freiburg zu tun hat?
Das Kunststoffmüll-Problem, das auf dem Foto dargestellt wird, ist ja bereits bekannt: Wir nutzen zu viel Kunststoff und verwenden zu wenig in gleicher Qualität wieder. Wir haben die Technologie, wie man unter anderem diesem Problem entgegentreten kann: Tracer Based Sorting.
Tracer Based Sorting – kann man das mit Marker basierter Sortierung übersetzen? Welche Technologie verbirgt sich dahinter?
Ja, exakt. Dies ist die Bezeichnung für ein neues Markier- und Sortierverfahren der Polysecure GmbH. Wir setzen dort an, wo Verfahren seither an ihre Grenzen kommen. Heute kann bereits nach Farbe und über die NIR-Technik einigermaßen nach den Grundpolymeren sortiert werden. Es kann aber nicht nach Unterklassen, nach Herstellern, nach Anwendung getrennt werden. Aber genau das wäre erforderlich.
Die Vorteile der Tracer Based Sorting-Technologie liegen im wirtschaftlichen und materialgenauen Sortieren auch bei verschmutzten, zerkleinerten oder äußerlich gleich aussehenden Kunststoffen. Bei unserem Verfahren werden bestimmten Kunststoffen bereits bei der Herstellung zusätzliche Merkmale hinzugefügt, sie werden mit speziellen Fluoreszenzstoffen gezielt markiert. Damit integrieren wir von vornherein eine Art Erkennungsmarke, wie der Kunststoff als Abfallprodukt wieder verwendet werden kann. Eine eigens entwickelte Sortiermaschine ist dann in der Lage, den oder die eingearbeiteten Marker- bzw. Spurenstoffe (engl. „tracer“) zu erkennen und die markierten Fraktionen abzutrennen.
Mit Ihrer Technologie ist also eine spezifischere und sortenreinere Trennung zu erreichen. Geht das so weit, dass man durch die Markierung dann letztendlich erkennen kann, dass eine Duschmittelverpackung wieder als Duschmittel oder Shampoo eingesetzt werden kann?
Letztendlich ja. Gleichzeitig ermöglicht eine saubere Trennung in reine Fraktionen aber auch, dass aus verschiedenen Kunststoffen/Kunststoffgemischen wirklich gleichwertige Rohstoffe hergestellt werden. Dieser Mosaikstein fehlte seither noch in der Kreislaufwirtschaft. Denn Rezyklate müssen hochwertig produziert werden, damit sie zielgerichtet einzusetzen sind. Irgendwann hat man genügend Blumentöpfe oder Parkbänke aus den schlechten Kunststoffgemischen produziert.
Das hört sich jetzt nach einer Technologie für hochentwickelte Industrieländer an. Wie passt das zu dem Bild des vietnamesischen Strands?
Mit der neuen Sortiertechnologie können Rezyklate nicht nur reiner, sondern auch zu Kosten unter dem Preis für frische Kunststoffe angeboten werden.Die technische Effizienz macht Rezyklate auch finanziell wettbewerbsfähig und verschafft finanziellen Spielraum. Im günstigsten Fall könnte man dem Verbraucher 5–10 Cent pro kg Kunststoffverpackung zurückgeben. Gerade in Asien und Afrika könnte dieser Anreiz genügen, damit praktisch kein Kunststoffabfall mehr in die Natur geworfen wird.
Wie weit sind Sie in der Umsetzung Ihrer Technologie?
Als erstes Industriesegment hat Polysecure zusammen mit der Firma REHAU die neue Technologie für das Abtrennen von glasfaserhaltigem Mahlgut aus PVC umgesetzt. Die Sortiermaschine hierzu wurde entwickelt und hat die Funktionsfähigkeit dieses Prinzips bereits bewiesen.
Derzeit setzen wir gemeinsam mit dem Grünen Punkt, Werner & Mertz, dem KIT und der Hochschule Pforzheim das BMBF-Projekt „MaReK“ im Rahmenprogramm „Forschung für Nachhaltige Entwicklung“ (FONA3) in der Fördermaßnahme „Plastik in der Umwelt“ um. Bei MaReK geht es um die Anwendung des Polysecure-Verfahrens für Kunststoffverpackungen im so genannten gelben Sack. Die erarbeiteten Lösungen sind übertragbar auf alle Länder der Welt.
Eingangs sagten Sie, mit Ihrer Technologie könnte man „unter anderem“ dem Kunststoffmüll-Problem begegnen. Was meinten Sie mit „unter anderem“?
Tatsächlich wurde unsere Kerntechnologie der Produktmarkierung zunächst für ein anderes Problem unserer Zeit entwickelt –der Produktpiraterie. Durch die Globalisierung sind Produktionsmittel und Materialien weltweit verfügbar. Das Kopieren von Originalprodukten ist daher sehr einfach geworden.
Ihre Kerntechnologie kann also auch als Schutz gegen Produktpiraterie eingesetzt werden? Wo sehen Sie hier Potenzial?
Praktisch alle Branchen und alle führenden und daher innovativen Unternehmen sind von Produktpiraterie betroffen. Die OECD u.a. schätzen, dass jedes zehnte Produkt im Welthandel eine Fälschung ist, Tendenz steigend. Der Umsatz der Fälscher wird auf viele hundert Milliarden Euro taxiert. Deutschen und europäischen Firmen gehen dadurch nicht nur Einnahmen verloren, sondern neben Imageschäden müssen sie sich auch noch gegen falsche Gewährleistungsansprüche zur Wehr setzen. Und natürlich leiden auch die Verbraucher unter diesem Problem.
Was spricht hier genau für Ihre Technologie?
Wie auch bei der Sortierung, können Unternehmen mit unserer Technologie Originalprodukte bis an ihr Nutzungsende markieren, indem sie robuste, inerte Markerpartikel über einen ohnehin bestehenden Produktionsprozess in eine Materialkomponente des Produkts mischen. Damit erhalten Produkte direkt ein Authentifizierungsmerkmal. Denn, was nützen Kennzeichnungen auf Verpackungen oder auf den Produkten, die entfernt oder kopiert werden können?
Die Markierung macht erst im Zusammenhang mit dem entsprechenden Detektionsverfahren richtig Sinn. Wir haben kleine Detektoren mit hoher Leistungsfähigkeit in Größe einer Streichholzschachtel entwickelt, wodurch Plagiatschutz im Feld und in der Breite möglich wird.
Als erste Firma haben wir die Entwicklung der Leuchtstoffe und Messverfahren wirklich unter einem Dach, so können wir beide Technologieaspekte aufeinander abstimmen. Selbstverständlich ist unsere Technologie auch durch relevante Patente abgesichert.
Und Sie persönlich Herr Mößlein, was treibt Sie an?
Ich bin wohl einer der Menschen, die immer etwas bewegen wollen, schon nach Abitur und Zivildienst habe ich eine Windsurf-Schule in Tarifa (Südspanien) aufgebaut. Dann studierte ich aber doch ordentlich Physik und BWL. In Stanford erfolgte dann die endgültige Infizierung mit dem Unternehmer-Virus und das hat sich bis heute festgesetzt.
Bilder + Video: Polysecure GmbH
Jochen Moesslein
Geschäftsführer der Polysecure GmbH
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