Digitalisierung, Dekarbonisierung und die Ruhe vor dem Sturm?
Hersteller als auch Zulieferer in der Automobilindustrie stecken in einer schwierigen Zeit. Ergänzend zum „gewöhnlichen“ Innovations- und Kostendruck sind Betriebe gefordert, die Nachhaltigkeit im eigenen Unternehmen auszubauen, die Margen anhand neuer datenbasierter Geschäftsmodelle zu verbessern und die eigenen Produktportfolios Schritt für Schritt auf emissionsarme Antriebskonzepte auszurichten. Produktseitig ist das Ziel spätestens seit dem vorgelegten „Fit for 55“ Legislativpaket der europäischen Kommission auch politisch in Stein gemeißelt: Ab 2035 sollen in der EU nur mehr emissionsfreie Neuwagen zugelassen werden. Die Entscheidungsfrage zur Transformation stellt sich für Unternehmen damit nicht mehr – wer auch 2035 noch im Markt sein will, muss handeln!
Dabei wird der Wettbewerb nicht weniger: Mit dem zunehmenden Konnektivitätsbedürfnis der Fahrzeuge, um autonome Mobilitätskonzepte in die Tat umzusetzen, findet eine Verlagerung von Wertschöpfung und Know-how auf elektronische Komponenten wie beispielsweise Steuergeräte und Sensoren statt. Ebenso rückt Software als Differenzierungsmerkmal immer weiter in den Fokus der OEM. Infolge dieser Entwicklungen sehen neue Wettbewerber aus anderen Branchen ihre Chancen, um Marktanteile im globalen Automotive-Markt zu konkurrieren. Für das prominenteste Beispiel sorgt wohl das Technologieunternehmen Apple mit den immer intensiveren Gerüchten um die Erscheinung eines eigenen Apple-Cars inklusive möglicher Lieferanten und Kooperationspartner. Von einer Wandlung des Lieferantenmarktes ist angesichts dieser Entwicklungen stark auszugehen.
Zudem sind die Effekte der Transformation noch nicht bei allen Betrieben spürbar. Zwar haben sich fast alle international tätigen OEM bereits zur Elektromobilität bekannt, die ersten drastischen Änderungen der Transformation ergeben sich für gewöhnlich aber erst in der Forschung und Entwicklung, damit vor allem bei Engineering-Dienstleistern. Sofern nicht von der Chip-Krise aufgehalten, laufen die Produktionen währenddessen weiter, da Lieferverträge „alter“ Komponenten für die Übergangszeit verlängert werden. Die (trügerischen) vollen Auftragsbücher sorgen weiterhin für gute Umsatzzahlen, rücken aber die Notwendigkeit der Transformation in den Hintergrund.
Die größten Herausforderungen betreffen natürlich Unternehmen, die mit ihren Produkten insbesondere konventionelle Antriebsstränge bedienen. Ebenso sind KMU gefordert, die oftmals nicht über finanzielle Mittel verfügen, um umfangreiche Transformationsprojekte inklusive der Umstellungen in der Wertschöpfungskette innerhalb kürzester Zeit durchzusetzen.
Wege zur Transformation
Um die strukturelle Transformation zu stemmen, ist die Ausrichtung des Produkt- und Leistungsportfolios auf die künftigen Anforderungen unausweichlich. Strategische Partnerschaften und branchenübergreifende Kooperationen können sich hierbei als erfolgsentscheidend herausstellen.
Vor allem Komponentenzulieferern bietet die Portfolio-Diversifikation zudem eine Option, die Abhängigkeiten von dominierenden OEMs mitsamt möglicher Auftragsschwankungen zu reduzieren. So sind beispielsweise die drei großen Zulieferer Bosch, Mahle und Brose ebenso wie der Automobilhersteller Porsche in das E-Bike- und Pedelec Geschäft eingestiegen, um sich durch Diversifizierung der Produktpalette auf anstehende Veränderungen vorzubereiten [1].
Dabei ist die Suche nach neuen Geschäftsfeldern alles andere als trivial. So erschwert die steigende Informationsflut Führungskräften, die berühmte „Nadel im Heuhaufen“ zu finden. Gleichzeitig mangelt es an zuverlässigen Informationen, sodass Entscheidungen primär aus dem Bauch getroffen werden. Um nichts dem Zufall zu überlassen, ist ein strukturiertes Vorgehen unerlässlich!
Der Startpunkt sollte bei der Identifikation der eigenen Kompetenz- und Ressourcenbasis liegen: Wer sich der eigenen prozess- und produktseitigen Kernkompetenzen bewusst ist, schafft es auch in neuen Märkten Alleinstellungsmerkmale aufzubauen. Durch Fokussierung auf die bestehende Kompetenz- und Ressourcenbasis lässt sich der Suchraum für neue Geschäftsfelder eingrenzen. Ebenso können Kostenpotenziale aufgrund synergetischer Nutzung der Ressourcen realisiert werden.
Alles in allem sind eine klare Strategie und proaktives Vorgehen gefragt, um den technologisch, regulatorisch und konsumentengetriebenen Strukturwandel als Chance zu ergreifen und langfristig die eigene Wettbewerbsposition zu festigen.
Dipl.-Ing. Alessandro Sala
Projektleiter Fabrikplanung und Produktionsdesign, Fraunhofer Austria Research GmbH
DAS KÖNNTE SIE NOCH INTERESSIEREN …
Warum die Doppel-S-Kurve als Strategieinstrument versagt und wie wir mit KI helfen.
Die Doppel-S-Kurve ist als Strategieinstrument zu starr. Unsere KI-Analyse bringt Licht ins Dunkel.
Neue Wege in der Industrie: TIM Consulting zu Gast bei Orgalim
TIM Consulting folgte der Einladung des Europäischen Industrieverbandes, die PFAS-Studie vorzustellen.
Gibt es Substitute für die industrielle Anwendung von PFAS?
TIM Consulting als Experten-Beratung bei Transformationswissen BW.