KI in der FuE: Vom niedrig hängenden Apfel zum China-Speed

Kaum eine Technologie hat in so kurzer Zeit einen so massiven Sprung gemacht wie die Künstliche Intelligenz. Was 2023 noch experimentell wirkte, ist heute reif genug, um komplexe Aufgaben in Technik und Produktentwicklung zu unterstützen. Entsprechend wächst das Interesse, KI gezielt in der FuE und im Innovationsprozess einzusetzen und viele Unternehmen haben bereits erste Schritte unternommen.

Die Erfahrungen ähneln sich jedoch: Wie schon bei Industrie 4.0 dominieren häufig technology-push-getriebene Initiativen. Teams probieren Tools aus, identifizieren vielversprechende Einsatzfelder und erzielen erste Effizienzgewinne. Doch diese „Low Hanging Fruits“ bleiben meist isoliert. Der große strukturelle Wert entsteht auf diese Weise nicht.

Wir schlagen daher einen anderen Einstieg vor: statt bei der Technologie zu beginnen, beim Prozess ansetzen. Ein Fokus auf Pull bedeutet, zunächst Fragen zu beantworten wie: Welche Prozessschritte sind heute besonders aufwändig? Wo entstehen Verzögerungen, Doppelarbeiten oder Fehler? Welche Aufgaben belasten das Tagesgeschäft? Genau dort entfaltet KI den schnellsten Mehrwert und schafft zugleich Akzeptanz im Team, weil der Nutzen unmittelbar sichtbar wird.

Auf dieser Basis lassen sich erste Leuchttürme realisieren. Dabei lohnt es sich, drei Arten von KI-Lösungen bewusst zu unterscheiden:

• Standalone-Anwendungen: exemplarisch wie ChatGPT, welche schnell einsetzbar sind und erste Aufgaben direkt erleichtern.
• Integrierte Lösungen: Features in bestehenden Systemen wie CAD, PDM oder Projektmanagement. Auch wenn diese ggfs. erst später verfügbar werden, ist es ratsam, sich bereits jetzt Gedanken über die entsprechende Datengrundlage zu machen.
• Customized AI Solutions: Applikation, welche die Unternehmensumgebung, Datenstrukturen und Prozesslogik exakt abbilden und deshalb oft überraschend leistungsfähig sind und vor allem schneller umsetzbar, als viele erwarten.

 

Durch die ersten Projekte entsteht kurzfristig ein erster, pragmatischer Nutzen. Langfristig jedoch müssen Unternehmen das Thema strategisch verankern, um die großen Potenziale zu realisieren. Das Spektrum reicht dabei von Brownfield-Optimierungen, bei denen bestehende Abläufe gezielt verbessert werden, bis hin zu Greenfield-Neugestaltungen, in denen KI als zentraler Bestandteil völlig neuer Prozesslogiken dient.

Hier bietet das Reifegradmodell (siehe Grafik) eine klare Orientierung: Wo stehen wir heute und welche Fähigkeiten benötigen wir, um die nächste Stufe zu erreichen? Typische Entwicklungsfelder sind eine geeignete Organisationsstruktur, konsistente KPIs zur Erfolgsmessung sowie Schulungsprogramme, die KI-Kompetenzen im gesamten Unternehmen aufbauen.

Wie könnte eine solche Organisation aussehen? Erfolgreiche Unternehmen setzen auf cross-funktionale Teams, in denen FuE, IT, Datenmanagement und Produktbereiche eng zusammenarbeiten. Eine Roadmap dient als zentrales Steuerungsinstrument und definiert, welche Themen in welcher Reihenfolge angegangen werden. Und mit einem organisatorischen Modell nach dem Prinzip eines Agile Release Trains werden kontinuierlich Potenziale in definierten Sprints, mit klaren Verantwortlichkeiten und einer spürbaren Dynamik in der Umsetzung gehoben.

 

Fazit
Der Einstieg in KI gelingt heute leichter denn je. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob Unternehmen über die ersten Effizienzgewinne hinausgehen und KI zu einem strategischen Bestandteil ihrer FuE machen. Eine klare Pull-Orientierung, frühe Leuchttürme und eine strukturierte Weiterentwicklung entlang der Reifegrade bilden den Schlüssel, um den vollen Wert der Technologie von inkrementeller Verbesserung bis zur grundlegenden Erneuerung der Entwicklungsprozesse zu erschließen.